N E W S - und mein SENF dazu...
Donnerstag, 3. September 2015
Langsam nervt's...
Nicht nur die Grenzen Makedoniens, Serbiens, Ungarns sind überfüllt von Flüchtlingen, sondern auch unsere elenden Nachrichtensendungen:

Die Hysterie um den Flüchtlingsstrom fängt an, mich zu nerven.

Kein Wort über die Weltwirtschaftskrise im Zusammenhang mit der strauchelnden chinesischen Wirtschaft, kein Wort mehr über die 86 Milliarden Euro für Griechenland, statt dessen ein riesiges Geschiss um 1 oder 2 Milliarden wegen der Flüchtlinge, die auf ihr Menschenrecht auf Asyl pochen.

Die fehlenden Unterbringungsmöglichkeiten für die Flüchtlinge sind ein Problem, aber keinesfalls eine (Staats-) Krise.

Versagt haben dabei politische Instanzen
  • in Deutschland, weil man hier nicht rechtzeitig für die nötige Infrastruktur gesorgt hat,
  • in der EU (genauer: in den einzelnen Staaten der EU), weil eine Sankt-Florians-Politik einer gerechten Einigung im Weg steht,
  • in allen Industriestaaten, weil man den UNO-Instanzen die nötigen Finanzmittel vorenthält, um z.B. die Flüchtlingslager in der unmittelbaren Nachbarschaft von Syrien mit einem Mindestmaß an Lebensqualität auszustatten.
Trotzdem sehe ich im derzeitigen "Flüchtlingsstrom" nichts Schlimmeres als ein zumindest mittelfristig lösbares Problem, bei dem man Geld in die Hand nehmen und Initiative ergreifen muss für ein möglichst rasches Integrationsangebot, auf dass die Aufgenommenen alsbald zu unserem Wohlstand beitragen, indem sie z.B. mit ihrer Arbeitskraft die auf immer wackligeren Beinen stehende Rentenversicherung stützen.

Aber all das ist schon x-mal publiziert worden; es wird Zeit, dass die Nachrichten nicht immer und immer wieder dasselbe wiederkäuen, sondern sich auf etwaige Fortschritte - wenn es denn endlich solche gibt (und es wird sie geben!) - konzentrieren und im Übrigen darauf achten, dass auch noch andere Themen in dieser Welt von Bedeutung sind.

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Sonntag, 30. August 2015
Danke...
...für den Hinweis, von wem auch immer: Die folgende Traueranzeige sollte auch hier rein, auch wenn sie aus der Zeit vor meiner Bloggerei stammt:



Und das ist der zugehörige Link.

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Mittwoch, 15. Juli 2015
Politik und Moral - ein tragisches Wechselspiel
Politik und Moral scheinen einander auszuschließen:

Moralisch sensible PolitikerInnen scheitern immer wieder daran, dass sie die politische Verantwortung für irgendwelche Fehler übernehmen, die sie nicht unmittelbar selbst begangen haben, die sich aber tatsächlich in ihrem Verantwortungsbereich ereignen, oder für Entwicklungen, die ihren Überzeugungen widersprechen. Das hat nichts mit der Parteizugehörigkeit zu tun - als Beispiele seien die Rücktritte genannt von Rudolf Seiters (CDU) 1993 als Innenminister, Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) 1996 als Justizministerin oder Brigitte Wimmer (SPD) 1995 als Landtagsabgeordnete, die den frappanten Bruch der Wahlversprechen nicht mittragen wollte.

Die Folge davon ist, dass moralische PolitikerInnen früher oder später aus ihren Ämtern ausscheiden - zurück bleiben also die unmoralischen. Über kurz oder lang kleben folglich nur unmoralische PolitikerInnen an ihren Ämtern.

Willst du das ändern? Dann musst du wohl selbst in die Politik gehen, um dort höhere moralische Maßstäbe zu setzen.

Aber was ist, wenn - wie es früher oder später wohl zu erwarten ist - auch in deinem Verantwortungsbereich etwas schiefgeht? Um deinem moralischen Anspruch gerecht zu werden, musst du dann zurücktreten, also das Feld den Unmoralischen überlassen.

Oder du wirfst deinen moralischen Anspruch über Bord und bleibst im Amt - dann bist du allerdings selbst eine(r) der Unmoralischen.

So oder so: Das Ergebnis ist, dass langfristig nur der Unmoralische sein Amt ausüben wird.

Ist das nicht traurig?

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Montag, 8. Juni 2015
Wertegemeinschaft? Welche Werte?
Da tönt unsere Kanzlerin vom G7-Treffen, dass man jetzt, nachdem Russland nicht mehr vertreten ist, sich als Wertegemeinschaft fühle.
Welche Werte kann sie meinen?
Na gut, ein gemeinsamer Wert ist sicherlich, dass man Asylbewerber lieber draußen hält. Zwar fischt man jetzt mehr von diesen aus dem Mittelmeer als ehedem, und lässt sie nicht mehr einfach absaufen, aber eigentlich will man sie nicht haben. Wer kam damals bloß auf die Idee, ein Asylrecht als Artikel 16 ins Grundgesetz aufzunehmen? Immerhin: Man hat es mittlerweile sehr weit ausgehöhlt und arbeitet weiter daran.
Aber eigentlich redet ja keiner vom Asylrecht; die Gemeinsamkeit scheint eher in der Feindschaft gegen Putin zu bestehen.
Auch ich finde es übrigens verurteilenswert, wie er in der Ost-Ukraine taktiert.
Aber welcher gemeinsame Wert liegt der Nicht-Einladung zugrunde? Offiziell ist von Putins Bruch des Völkerrechts bei der Annexion der Krim die Rede. Zwar ist unbestritten, dass tatsächlich eine deutliche Mehrheit der Krimbewohner den Anschluss an Russland wollte - wenn auch wahrscheinlich kein ganz so hoher Prozentsatz, wie es die Verkündung der Wahlergebnisse glauben machen wollte -, aber anscheinend schreibt das Völkerrecht vor, dass auch im Stammland eine Mehrheit einverstanden sein müsse.
Und wie sieht es damit bei den G7 aus, den Hohepriestern des Völkerrechts? Was war mit dem Kosovo? Die albanische Mehrheit war für Unabhängigkeit, die serbische Minderheit strikt dagegen - und das serbische Stammland eben auch. Daraufhin griff die NATO ohne UN-Mandat kriegerisch ein. Was ist daran besser als das, was Putin jetzt treibt? Nichts. Im Gegenteil. Während Putins geleugneter Militäreinsatz sich wenigstens nur auf die umstrittenen Gebiete in der Ost-Ukraine beschränkt, hat die NATO knallhart das serbische Stammland bombardiert und die dortige Regierung so in die Knie gezwungen.
Wie gesagt: Das rechtfertigt nicht die russischen Schweinereien. Aber ebenso ungerechtfertigt ist die westliche Kritik, denn damit erhebt sich der Bock zum Gärtner.
Vielleicht will jemand einwenden, dass im Kosovo Terror herrschte - wie mittlerweile eingeräumt wird, nicht nur von serbischer Seite, sondern auch von der pro-albanischen UCK. Dennoch war die serbische Seite angeblich die, deren Angriffen mehr Zivilisten zum Opfer fielen.
Ist also der gemeinsame Wert der, dass ein kriegerisches Eingreifen dann angesagt ist, wenn eine militärisch überlegene Seite eine nach Unabhängigkeit strebende regionale Seite angreift und massenhaft zivile Opfer billigend in Kauf nimmt?
Aha. Und warum greift die NATO dann nicht - spätestens nach den gnadenlosen Bombardements des Gaza-Streifens - Israel an, oder unterstützt die Palästinenser nicht wenigstens mit Waffen?
Nicht dass ich das gut fände - ein nachdrücklicherer diplomatischer Einsatz zu Gunsten der Palästinenser, untermauert durch Wirtschaftssanktionen gegen die Atommacht Israel, hätte wahrscheinlich bessere Aussicht auf Erfolg -, aber wie man es auch dreht und wendet:
Der Spruch von den gemeinsamen Werten ist nichts anderes als eine scheinheilige Heuchelei!

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Donnerstag, 2. April 2015
ZDF-Desinformation
...zum Thema "Atom-Verhandlungen mit Iran"

Im heute-Journal vom 1.4. hat Claus Kleber betont, dass die fünf Veto-Mächte und Deutschland versuchen würden, "die Iraner zu überzeugen, dass es in ihrem Interesse liegt, für mindestens zehn Jahre überprüfbar und zuverlässig auf den Bau jeder Technik zu Gunsten einer Atombombe zu verzichten". Dagegen hört man kein Wort davon, dass die Blockade womöglich nicht (nur) vom Iran ausgeht.

Soll das eine NEUTRALE Berichterstattung ein? Das klingt doch so, als seien es ganz einseitig die Iraner, die uneinsichtig sind und auf der Bremse stehen.

Ganz anders die schweizerische Tagesschau vom gleichen Tag, wo nach kurzer Vorab-Information der UNO-Korrespondent Andreas Zumach von der Moderatorin gefragt wurde: "Dann täuscht der Eindruck ja eigentlich nicht, dass es eben nicht am Iran liegt, dass man da nicht vorwärtskommt?"
Die Antwort des SRF-Korrespondenten: "Nein, dieser Eindruck täuscht nicht. Der Iran würde mit dem Abkommen ja erhebliche gesicherte Zugeständnisse vertraglicher Art machen, erwartet [dann aber auch], dass die Gegenseite auch vertraglich sich festlegt auf eine möglichst frühe Aufhebung/ Auflockerung der Sanktionen. Dazu sind die Amerikaner nicht bereit. Sie wollen damit erst nach einigen Jahren [!!!] Vertragstreue-Beweis durch den Iran beginnen [...]. Und die USA sind der Meinung, dass die Wieder-Einsetzung von Sanktionen [nach Vertragsverstößen] automatisch geschieht. Da sagen sogar die Russen und Chinesen >Kommt nicht in Frage, dazu bedarf es dann immer eines neuen Beschlusses des Sicherheitsrates<."
Im Folgenden führt Zumach aus, dass das Problem der Amerikaner darin bestehe, das jedes Verhandlungsergebnis nachher von den "Hardlinern im republikanisch beherrschten Repräsentantenhaus wieder zerrissen werden" könne. Deswegen "versucht der Außenminister Kerry hier die Messlatte so hoch wie möglich zu legen, nur auch das wird möglicherweise nicht aufgehen, weil der Kongress zu Hause in Washington dann die Messlatte noch ein paar Zentimeter höher legt und alles, was hier rauskommt, dann möglicherweise doch verhindert."

Nun gilt die Schweiz ja nicht als ausgemacht USA-feindlich. Warum ist also die deutsche Berichterstattung so offensichtlich einseitig und desinformativ???

Quellen:
http://www.zdf.de/ZDFmediathek/kanaluebersicht/aktuellste/228#/beitrag/video/2376120/ZDF-heute-journal-vom-1-April-2015
http://www.srf.ch/play/tv/tagesschau/video/atomverhandlungen-in-der-verlaengerung?id=b815e34b-a24e-4a52-a1c3-127c57a5761a

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Montag, 30. März 2015
"Gelenkte Demokratie"
"Gelenkte Demokratie" - ist das nicht ein Widerspruch in sich, sozusagen Pseudo-Demokratie? Wo gibt es denn so etwas?

Natürlich in Russland, diesem suspekten Riesen-Staat. Als Putin die Zügel straffer in die Hand nahm, manche substantiellen Wirtschaftszweige wieder verstärkt staatlicher Aufsicht oder gar Leitung unterstellte und gleichzeitig etliche Bürger- und Presserechte einschränkte, gebrauchte er selbst den Begriff, der hierzulande mit "Gelenkte Demokratie" übersetzt wird.

Der Westen reagierte lauthals mit Hohnlachen: Gelenkte Demokratie sei eben keine wirkliche Demokratie mehr, gelenkte Demokratie stehe quasi im Widerspruch zu sich selbst und Russland habe sich von den Werten des Westens verabschiedet.

Dabei gibt es auch bei uns gelenkte Demokratie, das merke ich z.B. jedesmal, wenn ich ein Knöllchen für zu schnelles Fahren bezahlen muss. Meines Wissens gab es weder je eine Volksabstimmung über das Ausmaß von Geschwindigkeitsbeschränkungen noch über die Höhe von Sanktionen nach Verstößen.
Das wäre zweifellos auch zu viel des Guten; ein Staat, in dem über jeden Käse eine Volksabstimmung durchgeführt würde, wäre alsbald handlungsunfähig. Die Grenze des diesbezüglich Zumutbaren wird meines Erachtens in der Schweiz erreicht (nicht: überschritten), wo ein zahlenmäßig hinreichend fundierter Einspruch zu einer Volksabstimmung führt, mit der jedes Gesetz ausgehebelt werden kann. Tatsächlich nimmt an solchen Abstimmungen aber stets nur eine Minderheit teil, was dem hehren demokratischen Grundprinzip dann doch jeweils eine kleine Ohrfeige erteilt.

In Wirklichkeit wäre also eine nicht gelenkte Demokratie ein Widerspruch in sich, da sie sozusagen unter des Last des eigenen Anspruchs zusammenbrechen müsste. Weder kann sich der Staat bei jeder Lenkungsmaßnahme eine Rückfrage beim Volk leisten, noch kann er gänzlich auf Lenkung verzichten, denn letzteres wäre Anarchie und somit eben auch keine Demokratie.

Bleibt die Frage: Wer lenkt? Und vor allem: Wie weit reicht die Lenkung?

In Russland lenkt die Regierung unter der Leitung des Präsidenten, und sie lenkt sehr energisch. Dabei kommt sowohl nachvollziehbar Gutes heraus, wie eben die Eindämmung des Wildwuchs-Kapitalismus durch staatliche Kontrolle von Banken und Schlüsselindustrie, als auch sehr Verwerfliches wie die Einschüchterung (wenn nicht Ermordung) von oppositionellen Bürgern oder die Unterdrückung von kritischer Presse und von NGOs.

Bei uns geht es diesbezüglich sehr viel liberaler zu: Die Presse darf weitgehend verkünden, was sie für richtig hält, unsere Bürgerrechte sind zumindest so lange geschützt, wie keine ausländischen Geheimdienste sie (und den Generalbundesanwalt) außer Kraft setzen, - aber auch die Banken und die Wirtschaft werden an der so langen Leine gelassen, dass man sich fragt, ob sie wirklich von den Regierungen kontrolliert werden oder ob es in Wirklichkeit nicht umgekehrt ist. Neulich habe ich in einem Buch den Ausdruck "Lobbykratie" zur Beschreibung unserer politischen Verhältnisse gefunden - das ist wohl auch nicht das, was man sich unter einer lupenreinen Demokratie vorstellt.

In Russland weiß man also, wer die Demokratie lenkt, und es ist offensichtlich, inwiefern diese eingeschränkt ist. Bei uns ist es durchaus fragwürdig, wer die wirklichen Strippenzieher sind und wie weit diese hinter der Idee der Demokratie stehen.

Womit wir wieder einmal bei der Sache mit dem Splitter und dem Balken angelangt wären: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? [...] Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann kannst du versuchen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. (Matthäus 7, 3-5).

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Donnerstag, 19. März 2015
Netanjahu
Was soll man dem glauben? Am Montag hat er die Zweistaatenlösung mit Palästina rundweg ausgeschlossen. Unter dieser Prämisse wurde er mit überraschender Mehrheit wiedergewählt.
Da ist es eigentlich nicht mehr wichtig, dass er heute wieder zurückgerudert ist, plötzlich doch wieder eine Zweistaatenlösung für denkbar hält.

Israel hat sich also gegen den Frieden entschieden, für die Unterdrückung der Palästinenser, für den Terror.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich der Terror dann wenigstens hauptsächlich gegen das verursachende Land richtet.

Herzlichen Glückwunsch, Netanjahu!
Herzlichen Glückwunsch, Israel!

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Sonntag, 22. Februar 2015
Sehr traurig...

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Donnerstag, 12. Februar 2015
Haitzinger bringt mal wieder einen Brüller...
...in der heutigen Badischen Zeitung (S. 4)


"...würden wir Ihnen Griechenland schenken!"

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Dienstag, 10. Februar 2015
"Geschichtsstunde im Intercity"

Neulich fiel mir ein mittlerweile zwölfeinhalb Jahre alter Aufschrieb über eine Begegnung im Intercity von Prag nach München wieder in die Hände, bei der mir ein älterer Mitreisender seine Lebensgeschichte erzählte.
Ob der Herr noch lebt, weiß ich nicht; ich wünsche es ihm jedenfalls. Aber ich fände es schade, wenn seine Geschichte verloren ginge; deshalb setze ich sie jetzt hier ins Internet. -

Geschichtsstunde im Intercity

Am 30.5.2002 fuhr ich, einen tags zuvor unterzeichneten Mietvertrag in der Tasche und damit bei der Or­ga­ni­sation meines bevorstehenden Arbeitsplatzwechsels um eine weitere Sorge entlastet, von Prag nach Mün­chen, wo ich am folgenden Tag beim dortigen Konsulat ein Visum für den längerfristigen Auf­ent­halt in Tschechien bean­tra­gen wollte.

In Praha-Smíchov stieg ein älterer Herr zu, graue Haare, dicke Brille, aber durchaus rüstig, und fragte auf Tsche­chisch vermutlich danach, ob er sich auf einen der freien Plätze setzen dürfe. Nachdem ich mein Unverständnis zu erkennen gegeben hatte, wiederholte er die Frage in akzentfreiem Österreichisch, so dass ich vermutete, es handle sich um einen Österreicher, der fließend Tschechisch zu sprechen verstand. In der Hand trug der Mann eine Tasche, aus der ein Dackel neugierig hervorlugte. Außerdem zog er an einem ausziehbaren Griff ein Köfferchen hinter sich her.

Der Hund war still und friedlich und erst, nachdem sein Besitzer nach einiger Zeit den Reißverschluss der Tragetasche ganz geöffnet hatte, krabbelte das Tier heraus, stützte sich mit seinen Hinterpfoten auf den Schoß des Mannes und legte seine Vorderpfoten auf eine der Schultern seines Herrchens, um an­schlie­ßend seine Schnauze dazwischen zu platzieren und aus dieser sicheren Position heraus mit großen Augen das Ab­teil und mich zu begutachten.

Ich beobachtete die Szene amüsiert, und als der Mann das bemerkte, fragte ich, ob der Hund ans Reisen gewöhnt sei und ob die beiden oft zwischen Prag und Deutschland pendelten. Der Hundebesitzer erklärte, dass sein Dackel in der Tat gern mit der Bahn fahre – zumindest nachdem man ihn, so wie jetzt, aus der Tragetasche befreit habe -, dass die beiden aber nicht nach Deutschland, sondern nur nach Pilsen führen.

Noch immer vermutend, ich spräche mit einem Österreicher, fragte ich (und dachte dabei an meine eige­nen Schwierigkeiten), wie man denn so gut Tschechisch lernen könne. Der Mann erwiderte, dass das un­ter den Umständen, unter denen er es habe lernen müssen, sehr schnell gehe. Und dann begann er zu er­zäh­len.

***

Als er vor oder während des Dritten Reichs auf die Welt kam, habe seine Familie in Mähren gelebt. Die Mutter war Tschechin, der Vater Österreicher, zu Hause sei Deutsch gesprochen worden. Schon vor Ende des zweiten Weltkriegs wurde die Familie auseinander gerissen: Der Vater sei im Krieg gefal­len, ein älte­rer Bruder in russische Kriegsgefangenschaft geraten. Die Mutter und er seien, warum auch immer, in einem Lager interniert worden. Bei Kriegsende sei es den beiden jedoch gelungen, sich nach Wien durch­zu­­schla­gen und bei Ver­wand­ten des Vaters unterzukommen.

Eine Tante sei in Prag geblieben, wohin auch der ältere Bruder aus der Kriegsgefangenschaft zu­rück­ge­kehrt sei, um je­doch als Deutschsprachiger sofort wieder von den Tschechen interniert zu werden. Als er auf Betreiben der Tante und im Hinblick auf die tschechische Mutter schließlich doch wieder frei gekom­men sei, habe der jüngere Bruder beschlossen, ihn von Wien aus zu besuchen. Ein Problem dabei sei al­ler­dings gewesen, dass man dem Reise­willigen zunächst keine Staatsangehörigkeit zugebilligt habe - weder Österreich noch die Tschechoslowakei hätten sich als zuständig empfunden, da keine Papiere mehr vorhanden gewesen seien. Immerhin habe der Junge eine Reiseerlaubnis und die Zusicherung erhalten, wie­der nach Österreich zurückkehren zu dürfen. Letzteres sollte sich jedoch bald als fataler Irrtum erwei­sen.

Am 7.3.1949 – dieses Datum werde mein Reisebegleiter nie vergessen – sei er also von Wien nach Prag gereist und habe dort in der Tat die Tante und den Bruder angetroffen. Doch als er habe zurückreisen wol­len, sei ihm von den Tschechen die Erlaubnis verweigert worden: Die österreichische Garantie­erklä­rung habe sie nicht interessiert, über den österreichischen Vater seien auch in Prag keine Papiere aufzu­finden und die tschechische Mut­ter den Behörden jetzt auf einmal Grund genug gewesen, den jungen Mann zum Tschechen zu erklären, was nach herrschender Rechtslage zugleich eine Ausreise unmöglich gemacht habe.

Zu diesem Zeitpunkt, erklärte mein Erzähler, habe er noch überhaupt kein Tschechisch gekonnt. Aber er habe sehr bald erkennen müssen, dass es ratsam sei, auf deutschsprachige Äußerungen zu verzichten; sie hätten nämlich Gefahr bedeutet und einmal wirklich dazu geführt, dass er auf der Straße zusammenge­schla­gen worden sei.

Zugang zur Weiterbildung, insbesondere zur Universität, sei ihm von Vornherein verweigert worden; er habe einen Job beim Bau annehmen müssen und habe dort, um die noch immer hörbaren Mängel in sei­nen Tsche­chisch­kenntnissen zu verbergen, auf jede Frage zu sagen gelernt: „Darum kümmert sich mein Kol­lege.“ Diesen Satz immerhin habe er in originalgetreuer Intonation zu sagen verstanden, damit nur ja niemand den Deutschsprachigen heraushören könne.

Dennoch sei er auch weiterhin als Mensch zweiter Klasse behandelt worden; in seinem Ausweis habe er einen „schwarzen Punkt“ gehabt, der auf Verwandte im kapitalistischen Ausland hinwies, und deshalb sei ihm mehr als einmal eine Stelle verweigert worden, für die er sich zuvor qualifiziert hatte. Ebenso sei er bei der Wohnungssuche stigmatisiert gewesen, indem „im Interesse des Volkes“ immer wieder andere ihm vorgezogen wurden. Auch den anderen Deutschsprachigen sei es so wie ihm ergangen; ungeachtet ihrer möglicherweise akademischen Ausbildung seien sie allenfalls als Hilfsarbeiter beim Bau eingesetzt wor­den.

Einmal hätte er, so räumte der Erzähler ein, in der ersten Zeit fliehen können, doch habe er seine Chance nicht erkannt. Während eines Besuchs bei Verwandten im südlichen Mähren habe er ein Fahrrad geliehen und eine Tour durch die Wälder unternommen, habe dabei in einem der Täler ihm unbekannte Dörfer ge­se­­hen und sei auf dem Rückweg einer tschechischen Grenzkontrolle in die Hände gefallen, die ihn un­wirsch darüber aufklärte, dass er sich bereits auf österreichischem Hoheitsgebiet befunden habe. So sei er also nach Prag zurückgekehrt.

Erst viele Jahre später, als unter Aleksandr Dubček der „Prager Frühling“ ausbrach, habe er die Erlaubnis erhalten, seine Mutter in Wien zu besuchen. Auch damals hätte er in Österreich bleiben können, zumal Ver­wandte ihm Unterkunft und Arbeit in Aussicht gestellt hatten. Aber er sei damals bereits mit einer Tsche­chin – seinem „Mädchen“, wie er sie liebevoll nannte – verheiratet gewesen und die beiden hätten einen Sohn gehabt. Zwar hielten sich alle drei in Wien auf, doch wollte die Frau nicht auf Dauer in der fremden Stadt mit der fremden Sprache bleiben. Sie hätte zwar Verständnis dafür aufgebracht, wenn ihr Mann in Wien bleiben würde, doch sie selbst war, zusammen mit ihrem Sohn, zur Rückkehr fest ent­schlos­­sen.

Dazu aber habe sich mein Mitreisender nicht durchringen können. Er habe ja selbst erfahren müssen, wie traurig es sei, ohne den Vater aufwachsen zu müssen, so dass er dieses Schicksal seinem Sohn ersparen wollte. Und auch, sich von seinem „Mädchen“ zu trennen, habe er nicht übers Herz bringen können. Des­halb sei er, obwohl auch das ihn große Überwindung gekostet habe, schließlich mit seiner Frau und sei­nem Sohn nach Prag zurückgekehrt.

Dort habe er allerdings mitansehen müssen, wie auch sein heranwachsender Sohn diskriminiert wurde: Trotz geeigneter Zeugnisse wurde ihm der Zugang zur Hochschule verweigert und er musste sich mit minder qualifizierenden Ausbildungsgängen begnügen, wobei er – ebenso wie Jahre zuvor der Vater – immer wieder inoffiziell und heimlich weiterbildende Kurse besuchte, so dass er schließlich doch die Vor­aussetzungen für einen Ingenieurslehrgang erfüllte.

Einzig die Genehmigung seines Chefs, eines durch seine Parteibeziehungen zu seiner leitenden Position gekommenen Kleingeists, habe noch gefehlt. Doch der zögerte die Unterzeichnung des nötigen Papiers ein ums andere Mal hinaus, und als der Termindruck schließlich allzu sehr brannte, sei der Erzähler selbst in seiner Vaterrolle bei dem säumigen Parteifunktionär vorstellig geworden, um die ausstehende Unter­schrift zu erbitten. Auch an diesen Dialog werde er sich Zeit Lebens erinnern. Er habe gefragt, ob es denn einen Grund dafür gebe, das Papier nicht zu unterschreiben, worauf der Chef des Sohnes geantwortet habe: „Was sollte ich – umgekehrt - für einen Grund haben, das Papier zu unterschreiben?“ Es blieb dabei – er unterschrieb nicht.

Zum Glück für den Sohn habe allerdings ein einflussreicher Bekannter Wind von der Sache bekommen und sei erbost gewesen, da an Ingenieuren mit der Fachrichtung des Sohnes ohnehin großer Mangel ge­herrscht habe. So sei der Sohn schließlich doch noch zur angestrebten Qualifikation gelangt.

Ich fragte, ob die Ablösung des kommunistischen Regimes diesbezüglich wohl eine Erlösung gewesen sei. Mein Mitreisender bestätigte das und betonte, dass die Verweigerung von Bildungschancen aus poli­tischen Motiven seither nicht mehr stattfinde. Allerdings sei, fuhr er fort, heutzutage ein anderes Auslese­kri­terium an dieselbe Stelle getreten, nämlich das Geld. Die meisten Familien könnten es sich einfach nicht leisten, ihre Kinder studieren zu lassen. Im Vergleich zum Einkommen seien die Preise für Mieten und Grundnahrungsmittel nämlich so sehr in die Höhe geschnellt, dass es für die meisten Leute ohnehin schwer sei, einigermaßen über die Runden zu kommen.

Unter dem kommunistischen Regime, das müsse er einräumen, habe es zwar Früchte wie Bananen selten und Orangen fast nie gegeben, aber die Nahrungsmittel des täglichen Bedarfs und die Mieten seien er­schwing­lich gewesen, ebenso wie die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Heutzutage sei das Angebot an Waren ungleich größer, aber die wenigsten könnten es sich leisten, sie zu kaufen. Ein Durchschnittsgehalt, so schätze er, liege heute bei 7000 Kc pro Monat, das sei dann aber schon recht ansehnlich. Eine Verkäuferin verdiene vielleicht 4000 Kc monatlich. (Mühsam teilte ich diese Maßzahlen im Kopf durch 30, um den ungefähren Gegenwert in Euro zu ermitteln: 233 € bzw. 133 € kam dabei heraus.)

Er selbst bekomme allerdings eine stattliche Rente von 9000 Kc im Monat, aber die Miete für seine Pra­ger Wohnung betrage allein schon 4000 Kc monatlich, so dass auch er sehr rechnen müsse. Sein Sohn sei mittlerweile leitender Ingenieur eines Bahnbetriebswerks mit 50 Untergebenen, er verdiene 15000 Kc mo­natlich. (Gerade so viel, dachte ich, wie ich als reicher Wessi für meine 70 m² große Prager Wohnung an Miete bezahlen werde.) Reisen ins westliche Ausland, führte mein Mitreisender unterdessen weiter aus, seien für normale Leute, wenn über­haupt, dann nur mit einem riesigen Verwaltungsaufwand zu ermög­li­chen gewesen – heute könne sich, abgesehen von einigen Privilegierten, aus finanziellen Gründen kaum jemand so eine Reise leisten.

Er sei nicht neidisch auf die Leute aus dem Westen, die man schon daran erkenne, dass sie ohne viel Ge­päck reisen, weil sie es sich leisten können, sich am Ziel der Reise das Nötige zu kaufen. Aber er emp­finde großen Zorn gegen Politiker, die latente Feindseligkeiten aufschaukeln und ihr Süppchen darauf kochen. Leuten wie Hitler, die dafür verantwortlich sind, dass unzählige Menschen keine Möglichkeit ge­habt hätten, einen sie zufrieden stellenden Beruf mit gutem Lohn für gute Arbeit auszuüben und sich im Übrigen auf ihr familiäres Glück zu konzentrieren, wolle er das Recht zu leben ganz und gar absprechen.

Im Dritten Reich seien ja nicht alle Deutschen Anhänger von Hitler gewesen, und nach dem Krieg seien auch nicht alle Tschechen gewalttätige Deutschenhasser gewesen, aber immer wieder gelinge es skrupel­losen Politikern, ein Klima von Hass aufzubauschen und zu verbreiten, um darauf basierend die eigene Macht zu zemen­tie­ren.

Er selbst sei eigentlich entschlossen gewesen, sich auf seine alten Tage das Nachdenken über derartige Themen zu verbieten, aber seit vor vier Jahren sein „liebes Mädchen“ gestorben sei, mit dem er seinen letzten Lebensabschnitt habe in Liebe und Zurückgezogenheit verbringen wollen, komme er nicht umhin zu erkennen, um wie viel er im Leben durch politische Gegebenheiten, die außerhalb seiner Einfluss­mög­lich­keiten gelegen hätten, gebracht worden sei.

Beschwichtigend versuchte ich meinen Gesprächspartner darauf hinzuweisen, dass er ja immerhin eine offenbar glückliche Ehe erlebt habe - was er sogleich nachdrücklich bestätigte - und dass seine Frau ja jetzt nicht einfach weg, sondern in seinen Gedanken doch sicherlich noch gegenwärtig sei. Auch meine eigene Mutter habe mir schon zu verstehen gegeben, dass sie noch oft mit meinem vor acht Jahren ver­stor­benen Vater in Gedanken Gespräche führe.

Dem stimmte mein Mitreisender zu, wobei die Erinnerung an seine Frau ihm ein wirklich seliges Lächeln ins Gesicht zauberte. Das wolle er, fuhr er fort, mir auf meinen Lebensweg unbedingt mitgeben, dass nichts auf der Welt so wertvoll sei wie ein Mensch, mit dem man in Liebe zusammenleben könne.

***

Mit diesen Worten erhob er sich, denn der Zug war inzwischen im Bahnhof Pilsen angekommen, und ver­abschiedete sich, indem er mir die Hand reichte und mir auftrug, meine Mutter unbekannterweise von ihm zu grüßen. Ich meinerseits verbrachte – abgesehen davon, dass ich hin und wieder einen Blick auf eine recht attraktive junge Dame warf, die statt seiner in Pilsen ins Abteil gekommen war – die folgenden Ki­lo­meter damit, die Preise für Essen, öffentliche Verkehrsmittel oder auch Briefmarken, die mir wäh­rend der vergangenen Tage so ausgesprochen günstig erschienen waren, in Relation zu setzen zu einem Mo­nats­­lohn von 7000 oder gar nur 4000 Kc, und ich beschloss, meine Finanzkraft fürderhin doch etwas un­auffälliger einzu­set­zen, um nicht brüskierend zu wirken. –

hajtext vii/mmii

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