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Freitag, 14. Juni 2019
Verkehrsminister als pädagogischer Ratgeber
In der viel diskutierten Bildungspolitik meldet sich jetzt auch der BW-Verkehrsminister zu Wort, und zwar primär mit sachfremden Argumenten: Unterricht solle erst um neun Uhr beginnen, auf dass der Straßenverkehr entlastet werde. Recht hat der Mann allerdings damit, dass die Aufnahmefähigkeit der Kinder am frühen Morgen nachweislich geringer ist als in den späteren Morgenstunden.

Dennoch hülfe es nicht, den aktuellen Unterrichtsblock einfach nach hinten zu schieben. Schon die alten Römer wussten, dass ein voller Bauch nicht gern studiert: Auch nach dem Mittagessen ist die Aufnahmefähigkeit stark eingeschränkt - ein Problem, das Lehrkräfte schon seit Jahren beobachten. (Was der uninformierte Verkehrsminister offenbar nicht wusste: Nachmittagsunterricht ist, zumindest am Gymnasium, schon jetzt für die meisten Klassen Normalität.) Eine Ausdehnung bis in die Abendstunden würde die Sache wohl kaum besser machen.

Unsere Jugendlichen haben schon heute quantitativ zu viel Unterricht. Die Annahme, ein junger Mensch könne mehr als 30 Schulstunden pro Woche (und also mehr als 6 Unterrichtsstunden pro Tag) Informationen aufnehmen und verarbeiten (obendrein zusätzlich zu seinen privaten Problemen und Interessen), ist einfach hanebüchen.

Ungeachtet dessen gibt es ständig Ideen für neue Fächer: Informatik, Wirtschaft, manche forderten auch schon Ernährungslehre und Grundlagen der Medizin. Im Gegenzug wurden andere Fächer bis zur Sinnlosigkeit ausgedünnt: Ein Fach, das pro Woche nur 45 Minuten unterrichtet wird, ist dem Untergang geweiht.

Das ruft dann die Stammtischproleten auf den Plan, die eine "Entrümpelung des Lehrplans" propagieren - eine billige Forderung, der zunächst alle zustimmen. Erst bei der Konkretisierung scheiden sich die Geister, denn erfahrungsgemäß sind sich keine zwei Personen einig, was denn "Gerümpel" und also verzichtbar sei.

Meines Erachtens müsste gegen die überzogene Verdichtung als Erstes das neunjährige Gymnasium wieder eingeführt werden. Und zweitens wird man darüber nachdenken müssen, ob bei der heutigen Informationsvielfalt sich der Anspruch eines "allgemein bildenden" Gymnasiums aufrechterhalten lässt oder ob zu den existierenden Spezialgymnasien nicht auch naturwissenschaftliche und humanistische Gymnasien als Spezialisierung ein Lösung wären.

Auf jeden Fall aber müsste die Bildungspolitik ein Gesamtkonzept entwickeln und geduldig zur Diskussion stellen, statt alle Jahre irgendwo herumzuflicken und "pädagogische" Ideen zu diskutieren, die in Wahrheit Nebeninteressen wie der Entlastung des Straßenverkehrs dienen.

(an die BZ am 14.6.2019)

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Letzte Aktualisierung: 2022.11.09, 04:50
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