Gespenstische Ruhe
Was ist das mit einem Mal für ein Geschrei auf der Straße? Wer stört denn hier an einem gewöhnlichen Freitag Vormittag die Ruhe? Ah, jetzt sieht man’s – Jugendliche kommen gelaufen und rufen laut: „Hilfe, Hilfe! Unser Haus brennt!“ Bald strömen von allen Seiten Ältere hinzu, die von den Jugendlichen förmlich angeschrien werden: „So tut doch ’was! Es brennt schon lichterloh!“
Ein älterer Herr von der AfD weist mit seinem Blindenstock zum Himmel und sagt: „Unsinn, das ist kein Feuer. Die Sonne spiegelt sich in gewissen Zeitabständen so in den Fenstern, dass man meinen könnte, das Haus würde brennen.“ Zwei Wissenschaftler widersprechen: „Nein, die Jugendlichen haben recht, das Haus steht in Flammen! Es ist höchste Zeit, endlich mit dem Löschen anzufangen.“
Wieder hört man die Jugendlichen laut rufen: „Tut etwas! Unser Haus brennt! Warum unternehmt ihr nichts?“
Auch die anderen Zuschauer widersprechen nun dem Blinden: „Ja, die Kinder haben eindeutig recht. Hier brennt es.“ Eine Regierungsvertreterin ergänzt: „Wir sollten schleunigst eine Kommission bilden, die berät, wie wir am wirkungsvollsten löschen können.“
Doch die Jugendlichen sind mit diesem Ansatz nicht zufrieden und rufen immer lauter, dass jetzt sofort etwas getan werden müsse. Man weist sie darauf hin, dass sie eigentlich in der Schule sein sollten, außerdem nehme man sich ja jetzt der Sache an. Der Lärm, den die Jugend veranstalte, sei nicht hilfreich, zumindest nicht jetzt zur Unterrichtszeit. Im Übrigen wüssten die Jugendlichen ja gar nicht, wie man am geeignetsten lösche.
Ein Herr von der CDU erkennt, dass man die Gelegenheit ergreifen könne, mit Pumpen aus heimischer Herstellung Wasser aus dem Hydranten anzuzapfen. Jemand von der oppositionellen FDP hält dagegen, dass das Trinkwasser aus dem Hydranten zu teuer sei, besser nehme man Wasser aus einem 200 m entfernten Tümpel.
Lästigerweise stören noch immer die Jugendlichen mit ihren Rufen, man müsse endlich mit dem Löschen beginnen. Man versucht ihnen klarzumachen, dass sie sogar die gesetzliche Schulpflicht verletzen.
Der Herr von der CDU gibt zu bedenken, dass das schmutzige Tümpelwasser die Mechanik der Pumpen verstopfen könne. Eine Dame von der SPD meldet sich zu Wort und sagt, dass man dann besser mit Eimern lösche, eine dafür eingesetzte Menschenkette sichere obendrein Arbeitsplätze. Eine andere Dame von den oppositionellen Grünen ereifert sich, dass man beim Absenken des Wasserspiegels im Tümpel den Lebensraum des gemeinen Wasserflohs zerstöre. Der Herr von der FDP verweist nochmals auf die hohen Kosten von Trinkwasser.
Da stürzt mit lautem Krachen die Vorderfront des brennenden Hauses ein und begräbt sowohl die demonstrierenden Jugendlichen als auch die diskutierenden Erwachsenen unter sich. Weitere Wände bersten und bald bleibt nur ein qualmender Schutthaufen übrig.
Eine gespenstische Ruhe breitet sich aus.
hajtext iv/mmxix
... comment
wartet.auf.ihre.seele,
Montag, 30. September 2019, 06:41
Guten morgen haj,
die Geschichte bringt unsere Situation sehr gut auf den Punkt.
Ich muss gerade an folgendes Zitat von Goethe denken:
„Der Worte sind genug gewechselt,
Laßt mich auch endlich Taten sehn!“
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Letzte Aktualisierung: 2022.11.09, 04:50
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